Autotest
Porsche 911 Carrera S Test: Generation 997
Die sehr direkte und feinsinnige Servolenkung mit variabler Lenkunterstützung seziert die Kurven mit urdeutscher Pflichttreue: befehlen, ausführen, der treue Untertan.
Dazu ein Druck auf den PASM-Button auf der Mittelkonsole („PASM“: das beim Carrera S serienmäßige „Porsche Active Suspension Management“), und man fährt in der Stellung „Sport“ des Aktiv-Fahrwerks der Fahrphysik einen Streich, so stoisch und annährend ohne Seitenneigung zieht der Carrera jetzt seine Bahn.
Unter Verzicht auf das, was der Unterbau zuvor mit dem 19 Zoll-Niederquerschnitt (vorne 235/35, hinten 295/30) und der 10 mm Tieferlegung noch an Federungskomfort zuließ – somit eher ein Tipp für kurvige Landstraßen oder sehr schnelle Autobahntouren.
Terrain, wo sich der Carrera-Pilot in den sehr teuren „adaptiven Sportsitzen“ (2.460 €) rückenstimmig fixiert fühlt. Die Sitzschale wird zur natürlichen Verlängerung des Heckantriebs. Der Fahrer pumpt sich in Manier des M3 (an die Körperkontur anpassbare Seitenwangen an der Sitzfläche und an der Rückenlehne – Test BMW M3 Cabrio), in der Einstellung zwischen leger bis strikt auswählend, elektro-pneumatisch in die kommoden und sehr attraktiven Sitze.
Hinter dem Lederlenkrad mit den beiden funktionalen Rändelrädern, mit denen sich geschwind etwa der Navi-Bildschirm aufzoomen lässt, tut sich Schwarz auf Weiß die Motorüberwachung auf: Drehzahlmesser, Tachometer, Wasser-, Öltemperatur- und Öldruckmesser, Tankanzeige – alles gut im Blick, aber wie im alten 996 immer noch zu klein.
Die vielen Schalter der Mittelkonsole erklären sich rasch durch die schlüssige Anordnung, der doppelte Cupholder rechts davon lässt sich kaum eleganter verstecken als hier unter einer Alu-Verblendung.
Die nicht annährend so elegante, aber prickelnde milde Handmassage beim Kaltstart würde man jedem Selbstzünder glatt übel nehmen. Der Boxermotor schüttelt sich im Rückraum gerade warm – ein Konzert. Deutlich heiser, aber schon sehr lebensfroh.
Die Kupplung schnalzt den Zehballen entgegen. Der erste und zweite Gang fliegen, bei erwärmter Schaltzentrale, auf kurzem Weg durchs präzise Sechsgang-Getriebe.
Das sich auftuende nutzbare Drehzahlband von 1.500 bis 7.400/min erlaubt fast freie Gangwahl. Sogar im Dritten geht der S untertourig sehr elastisch um enge Kurven, selbst Schaltstufe sechs steckt der 3,8 Liter-Sechszylinder bei Ortsgeschwindigkeit und bei etwa eineinhalbtausend Touren ohne Verschlucken locker weg. Eine saubere Abstimmungsleistung, weil das Aggregat, seinen Genen folgend, eben auch ganz anders kann.
Nämlich nach dem Ortsschild: Der Motor hängt brutal am Gas. Bei 7.400/min und gut erwärmt 110 Grad Öltemperatur überrollt die virtuos komponierte Geräuschwolke die Hinterherfahrenden – also jedermann. Penetrante TDI in der Peripherie: schlicht nicht mehr spürbar. Natürliche Feinde: fast keine.
Die Zahlen 355, 400, 293, 4,8 stehen für das, was man immer mit Bedacht einsetzen sollte oder für die maximale Motorleistung bei 6.600, das maximale Drehmoment bei 4.600/min, die Höchstgeschwindigkeit und das enorm entwickelte Beschleunigungstalent.
Mit Bedacht deswegen, weil der Überschuss an Tempo auf der Autobahn bei der Annährung an den vorausfahrenden Verkehr exorbitant überschüssig ausfallen kann – wo man wieder auf die sehr effektiv verzögernde Bremsanlage zu sprechen käme.
Autobahnbaustellen fliegen bei Tempo 280 so rasch heran, dass man schon beim Anflug glaubt, das Polizeifoto nicht mehr vermeiden zu können.
Sich von einem Bremsweg aus 250 km/h noch kein Bild machen könnend, bemerkt so mancher Pilot des ausgeprägt sportlichen Carrera S rasch: Die Grenzen des Autos sind noch lange nicht erreicht, die eigenen sollte man kennen – Stichwort: vollgasfest, aber auch im Kopf.
Das Schönste und auch nach über 40 Jahren eine Konstante: Selten paaren sich unbändige Leistungsbereitschaft und gute Alltagstauglichkeit so harmonisch in einem waschechten Sportwagen – 2+2 Sitze, tiefer Kofferraum gepaart mit betörender Gutmütigkeit.
Der Einstiegspreis, mit Extras leicht nahe 100.000 Euro gerückt, lässt wenig von Vernunft und Preiswürdigkeit erahnen. Vergleicht man jedoch in diesem Segment die Kosten, bemerkt man die gute Preis-Leistungs-Relation des Carrera S. Man kann auch das Doppelte ausgeben, bekommt aber nicht allzu viel mehr. Schon gar nicht beim Wiederverkauf: Auch hier ist der Porsche 911 seit Jahren Spitze.
Und die Nachteile des Vergnügens? Deutliche Abrollgeräusche, kein Ersatzrad (Reifendichtmittel mit elektrischem Kompressor) und der zu kleine Tank – wie 1964: Weil nicht soviel hinein passt, steht man an der Tanke öfter neben seinem 911 – ein durch und durch erfreulicher Anblick. (2006)
Weitere Informationen
https://www.porsche.com/germany/
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