Autotest
Mercedes S400 L Hybrid Test
RR ist doch kein schlechtes Vorbild – die Werbeidee mit der Münze auf dem Kühlergrill, diese einfach auf dem Grill obenauf zu stellen, ohne dass sie umkippt, würde auch hier funktionieren. Wie in den Sechziger Jahren in einem Rolls-Royce agiert der Antrieb vibrationsfrei und flüsternd – Test Mercedes S400 L Hybrid.
Die Menschen hören ihn nicht. Zwar nimmt der Fahrer ohne Antrieb an der Ampel plötzlich seine Umwelt war – aber man nicht ihn: Das Warten vor einem mitten auf der Straße ausladenden LKW wird nicht registriert, weil den S400 Hybrid – schon ein eigenartiges Gefühl in einer 5,2 Meter Limousine – keiner wahrnimmt.
Auf der Straße spielende Kinder erschrecken, den Stern schon fast am Hosenboden …So löst zumeist nur das lauteste Geräusch, was dem S400 Hybrid zu entlocken ist, die Situation – die Hupe.
Fahren? Eher Gleiten – Der überlange Radstand bügelt den Asphalt. Unfeine Asphaltdecken streicheln mit der Airmatic, auch wenn sie nicht auf „Comfort“ geregelt ist, nur herein.
Über die fast absolute Souveränität der Straßenlage muss man genauso wenig Worte verlieren wie über die schmeichelnde Leichtigkeit und strikte Präzision der Servolenkung oder die unmerklichen Stufenwechsel der mit Gangwunsch auch über den rechten Lenkstockhebel oder die Schaltpaddel ansteuerbaren Siebgang-Automatik.
Die Ansaugluft wird vom zivilisierten 3,5 Liter-V6 nur gegrault. Der Sechszylinder ist in der S-Klasse der Einstiegsmotor. Dies muss man sich erst einmal vergegenwärtigen, denn er lässt es einen nicht merken, weil ein eigentlicher Nebendarsteller am Anfang des Drehzahlbands zum Hauptdarsteller wird: Fast aus dem Stand schiebt der 20 PS leistende E-Motor so vehement an, dass man vom In-den-Sessel-drücken ruhig schwärmen darf.
Erst darauf wirkt das maximale Drehmoment von 350 Nm bei 2.400 U/min auf der Hinterachse, bis der V6 bei Drehzahlen von 4.000 bis 6.400 U/min mit dunklem Kolbenpochern und sonorem Unterton zur Maximalleistung von 279+20 PS hinarbeitet.
Wer E sagt, muss auch immer O sagen. Der Ottomotor arbeitet immer mit, der E-Motor nie allein. In diesem Sinne ist der S400 Hybrid ein „Mild-“ und kein „Vollhybrid“ (wie die Lexus-Hybridfraktion). Die Aktivität der AG Hybrid wird auf dem großen Display mittig oder direkt vor dem Fahrer im Tacho eingeblendet.
Die Batteriekapazität, die beim Beschleunigen abnimmt und beim Verzögern oder wenn sich der Generator beim Rollen dazwischen klemmt, wieder zu, pendelt in der Regel zwischen 50 und 70 %. Bei tiefen Temperaturen (unter 0 Grad) dauert es schon einmal cirka fünf Kilometer oder 15 Minuten bis Start-Stopp aktiv wird.
Wenn der Motor abschaltet, gilt das wie bei kostengünstigen Hybridmodellen nicht für die Klimaanlage (Beispiel: Test Honda Insight), da hier in der Oberklasse ein Klimagenerator immer mitarbeitet. In der Genfer Innenstadt – ein Exempel für brutal falsche Verkehrspolitik – ist der S400 Hybrid in seinem Element: Viele Autos, viele Ampeln, viele Stopps, viele Staus … das ganze Verbrauchshorrorszenario.
Auf der Autobahn spart der S400 Hybrid weniger. Der sanft eingefahrene Testverbrauch von 10,3 Liter/100 km überzeugt trotzdem – fragt sich, was eilige Geschäftsleute, denen man deshalb vielleicht prohibitiv doch eher eine S-Klasse mit Dieselmotor verschreibt, daraus machen?
Wer hier sitzt, hat es zumeist geschafft. Nicht vorne, da muss er es noch schaffen, sondern im Fond. Der fällt in der Langversion, die länger ausfällt als zwei Ur-Smart kurz, besonders üppig aus: Zwei elektrisch neig- und beheizbare Einzelsitze und ein XL-Fußraum als Manifestation fast absolutem Sitzkomforts. Einziger spürbarer Nachteil: Manche Parklücke ist mit dem „L“ passé.
Das Maß der Bedientiefe und Gewicht und Umfang der Bedienungsanleitung gehen ungefähr konform. Am Ende des üblichen Dreisatzes des Verstehens – Irritation, Intuition, Faszination – überwiegt, angesichts der Technikflut erstaunlich, rasch die Faszination: Die Dynamikstellung der Sitze, mit der in dynamischen Linkskurven die linke Sitzwange an den Fahrer heran gepumpt wird und in Rechtskurven die rechte, übertrifft noch das erstklassige Sitzsystem des M3, die Highend-Anlage (Logik7 von Harman/Kardon) reicht an das BMW-System zumindest heran (Test BMW 750i).
Die Massagefunktion der Multikontursitze ist mit vier Härte- und Geschwingkeitstufen das beste, was einem Rücken heute im Auto passieren kann.
Und die auf Knopfdruck elektrisch in den Vertiefungen der Hutablage verschwindenden Fondkopfstützen zeugen von der Weitsicht der Interieurgestalter wie auch die Randgebiete der Bedienung: Die „Wo bin ich?“-Funktion der Navi ist so genial wie einfach. Der Navigator zeigt nicht etwa nur Restaurants, sondern gleich per Flagge deren Landesküche.
Wie klug Elektronik agiert, zeigt sich vor der Ampel: Nachdem mit den Schaltpaddeln beim Herunterschalten vor dem Rotlicht manuell in den Automatikmodus eingegriffen wurde, der Motor kurz vor dem Stand automatisch abgestellt wurde, schaltet die Start-Stopp-Elektronik die Automatik nach dem Wiedererwachen des Motors wieder klug in Eigenregie auf D, …
Durchdachte Details, wohl bedachte Bedien- und Schalterinseln, griffige Bedientasten, lupenreine Haptik – sie haben sie in Stuttgart nicht erfunden, aber sie könnten es haben.
Das gleiche gilt für die Vokabel Fahrzeugsicherheit. Sie erlebt hier im Testwagen keinen Dialekt, sondern die Hochsprache der Sicherheit: Alles ist mit dabei. Alle Airbags, ESP, Spurhalteassistent, die Totwinkelüberwachung mit akustischer und optischer Warnung in den Außenspiegeln, die Rückfahrkamera (in der Griffleiste des Kofferraumdeckels), das sichtbar intelligente Xenonlicht (automatisch angepasste Leuchtweite zwischen 65 und 300 m) und das luftgefederte Fahrwerk, das auch noch bei kräftigem Seitenwind sensibel gegensteuert.
All das muss man erstmal bezahlen können – was auch beweist, dass der anfängliche Vergleich mit den zwei englischen Buchstaben RR (Rolls Royce) kein schlechter war. In diesem Sinn ist der S400 L Hybrid dann, obwohl teuer, sogar preiswert – ehrlich. (2010)
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