Test
Mercedes SL 350 Test: Generationsvertrag
Einstieg auf hohem Niveau: Mit 272 PS ist der Mercedes SL 350 kräftiger als ein 500 SL drei Jahrzehnte zuvor. Stellt er damit die leistungsstärkeren SL-Varianten in Frage? Test: Mercedes SL 350.
Zumindest ein Generationsvertrag, der hält und besteht – Der aktuelle SL, erstmals mit mobilem Fest- statt dem Stoffdach, ist die sechste Generation. Und Nachfolger der smartesten Opas der Automobilgeschichte: 300SL (W198), 190 SL (W121) und 280 SL (W113, „Pagode“).
Als SL 350 bildet er in der SL-Klasse Jahrgang 2007 die leistungsmäßige Vorhut: Glatte 340 PS schwächer als der SL 65 AMG, 272 anstatt 612 PS. Trotzdem potenter als damals (1980) ein 500 SL (240 PS) – und schon dessen Besitzer zählten zu den glücklichsten Offenfahrern ihrer Zeit.
Der Wind ist für alle gleich – So gesehen ist das 85.000 Euro kostende Basismodell im Vergleich zum mit 213.000 Euro weit teureren AMG-Spitzenmodell eine äußerst kluge Wahl: Auch hier streichelt der Luftstrom nur milde das Haar.
Es herrscht kaum mehr Zug als in einem Sylter Strandkorb, nachdem das Windschott mit einem flotten Armstrecker nach oben gestellt wurde. Der Qualitätseindruck ist auch im Grundmodell überragend. Das Fahrwerk ein Beweis dafür, dass sich die Sonnenseite in einem Cabrio nicht immer nur oben befinden muss.
1,8 Tonnen Fahrzeuggewicht: die Leichtigkeit des Seins – Die „Active Body Control“ ist ein Genuss, wenn auch ein teurer (3.900 € extra): Dynamikspitzen fast ohne Kurvenwanken. Luftfederung und Wankstabilisierung stemmen selbst im grenzwertigen Bereich die g unaufgeregt.
Die optimale Dosierbarkeit der Bremsanlage gestattet optimales Einbremsen, dazu agiert die Lenkung feinfühlig und agil. Gegebenenfalls hievt das ABC-Fahrwerk, welches permanent automatisch die Fahrzeughöhe reguliert, das Fahrzeug wie ein 4×4 über grobes Terrain – Regelbereich: plus-minus 50 mm – Alltagstauglichkeit auf einem für die Klasse hohen Niveau.
Hohes Niveau erreicht schon, wer unten einsteigt – Die über 600 PS des Topmodells sind ein Pfund, mit dem sich heute kaum noch im Alltagsverkehr wuchern lässt. Mit adäquatem Hubraum (3498 Kubik), ordentlicher Leistung (272 PS bei 6.000/min) und breitem Drehmomentband (350 Nm zwischen 2.400 – 5.000/min) sorgt auch der sämige und souveräne, den Hinterrädern zuspielende V6 für einen geschmeidigen und gleichmäßigen Kraftzuwachs.
Mal ist er die Ruhe selbst, mal entlockt man ihm, wenn man bei 6.500/min ausdreht, einen sportlichen Unterton. Schon mit dem Basis-V6 erscheint der SL standesgemäß motorisiert – ein Einstiegsmotor mit großem Selbstbewusstsein.
Der Superstar des Automatik-Castings, die 7G-TRONIC, scheint die geheimsten Schaltwünsche des Testers in ihren sanften Schaltwechseln zu adaptieren.
Der wattierte Stufentausch erfolgt abhängig von Gaspedalstellung und Geschwindigkeit hintergründig. Dagegen bringt die Markierung M („Manuell“) – geschaltet wird nun per Wählhebel oder Schaltwippe (rechts herauf, links herunter) – mit dem individuellen Austausch der sieben Gänge noch mehr Sportlichkeit ins Geschehen – ein schöner Zeitvertreib, vor allem auf kurvigem und bergigem Terrain.
Man sitzt tief. Man sitzt gut – die Komfortsitze mit Heizung und Belüftung (1.200 €), Puls-Massage und dem vollen Programm an Verstellwegen sind das, was man sich an Sitzkomfort erträumt, aber auch nicht gerade günstig. Alle Bordinstrumente liegen optimal im Blick. Ein überdimensionierter toter Winkel wie im XK Cabriolet existiert wegen der tief nach hinten verlaufenden Fensterflanken nicht.
Das elektrohydraulische Dach öffnet sich rasch (ein Tastendruck, keine weiteren Bedienschritte). Der Raum hinter den elektrisch vor- und zurückfahrbaren Sitzen lässt sich auch für schmale Gepäckstücke nutzen.
Der Kofferraum dahinter (elektrischer Gepäckraumdeckel, Gepäckraumabtrennung, Beladehilfe) bietet bei geschlossenem Dach genug Platz für drei Wasserkästen samt einigen Einkäufen mehr. Die sich darunter befindende Pannenvorsorge offeriert zwei Varianten: Tirefit-Kit (Serie) oder Faltrad (60 €) oder alternativ die Reifen mit Notlaufeigenschaften (350 €)
Am Alten und Bewährten festzuhalten, macht manchmal Sinn – Im aktuellen SL geht das so: Wo man sucht, findet man.
Und nicht, wo man findet, sucht man nach dem Sinn – sozusagen „iDrive“ in der Umkehrung. Die Reset-Taste des Tageskilometerzählers sitzt beispielsweise unmissverständlich zwischen Tachometer und Drehzahlmesser. Der Tempomat im Lenkstockhebel und der Parkbremshebel am Boden sind Stuttgarter Grundphilosophie. Die Sitzbelüftung leuchtet blau, die Sitzheizung rot, noch Fragen?
Nicht nur angedacht, sondern durchdacht. Es ist wie im Leben: Nicht allein das große Ganze, sondern die kleinen Details bestimmen das Alltagsglück: Das Lederlenkrad mit der idealen Fingermulde (auf der Steuerradrückseite), der versenkte und im Notfall automatisch ausfahrende Überrollbügel, die zugfrei arbeitende Klimaautomatik, das perfekt blendfreie Leselicht (unter dem Innenspiegel), die Gepäckgurte hinter den Sitzen und ganz speziell die klug arrangierten Ablagen (Türfächer, Erste-Hilfe-Tasche im Fach unter dem Beifahrersitz, weiteres Fach unter dem Fahrersitz, doppelvolumiges Fach auf der Mittelkonsole) – in vielen Viertürern legt man kaum besser ab.
So geht der solide und fein gemachte SL glatt als einer durch, den sich jede Mutter als Automobil für die Tochter wünscht. Fehler hat so einer natürlich auch, aber keine wirklich störenden: Das rechte Knie eines notorisch Langbeinigen stößt manchmal auf die breite Mittelkonsole (weiches Leder).
Die große Sonnenblende (auch auf der Fahrerseite mit Licht und Spiegel) halbiert die Windschutzscheibe (abhängig von der Fahrergröße). Der Sechszylinder, der 1,8 Tonnen zu bewegen hat, lässt das auch an der Tankstelle spüren (Testverbrauch: 12,4 l Super). Das so praktische „Keyless-Go“ wünscht man sich – wie manches andere der vielen Extras – als Serienausstattung, anstatt draufzuzahlen.
Man spürt es: Mythos ist alles, aber eben kein Sofortprogramm. Dieser SL, als SL 350 mit dem 3,5 Liter-V6 sehr harmonisch motorisiert, ist über Generationen gereift.
Deshalb ist es ein durchaus gutes Gefühl, in der sechsten Generation des Klassikers zu fahren, aber trotzdem von einem Mercedes SL der ersten, zweiten oder dritten überholt zu werden. denn es fühlt sich so an, als wäre dies in den kommenden fünf Jahrzehnten auch mit diesem SL möglich.
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