Autotest
Mercedes C63 AMG Coupé im Test
Wie lange Umwege sein können? Der Bäcker liegt 800 Meter Luftlinie entfernt. Klar ist die Autobahn der beste Weg dorthin: 487 gute Argumente und 6,2 gute Gründe für ein Brötchen-Alibi – Test Mercedes C63 AMG Coupé.
Schon der morgendliche Kaltstart des mit AMG-Performance Package 487 statt 457 PS leistenden 6,2 Liter-V8 ist ein Spektakel. Ein herzhafter Schwall Super Plus fällt mit einem Luststoß in den Brennräumen ein.
Und der Nachbar synchron aus dem Bett. Der V8-Sauger ist ein V8 vom alten Schrot und Korn: der Bass tief, monumental, ein Schöpfen aus vollen Töpfen, aber auch ein Sportmotor: Maximales Drehmoment (600 Nm) und Höchstleistung liegen bei 5.000 und 6.800 Umdrehungen sehr eng beieinander und der V8 ist auch ein Dreher.
Brodelt der Hubraumgigant im Alltagsverkehr häufig nur um 1.200 Umdrehungen, sind es bei forcierter Gangart bis zu 7.200 U/min. Die Beschleunigung ist die eines Motorrads: 4,3 Sekunden bis 100 km/h (ohne Performance Paket: 4,4 s). Bei ausgelebter Praxis und 110 Grad Öltemperatur verdient der Heckantrieb allerdings Beachtung.
Schon der C63 Limousine geht das Heck ruckzuck ab. Nicht nur bei Nässe, sondern latent. Sehr hohe Kurventempi stecken drin, bitte aber ohne Lastwechsel mittendrin, sonst erschrillt der Warnton und das Sport-ESP flackert lichterloh.
Die korrekte Reihenfolge des Fahrschulstoffs sorgt dafür, dass alles doch gut geht: Den Bremsvorgang bis zum Kurveneingang abschließen, wie auf Schienen durchgleiten, wieder voll aufs Gas.
Bei zuviel Verve in der Kehre setzt es allerdings die volle Portion Haftreibung, regelt das ESP hart und brutal oder es geht richtig rund. Nicht sprichwörtlich, sondern im Bruchteil einer Sekunde: Dort wo eben noch die Fahrzeugschnauze hinwies, steht nun das Heck.
Und der Komfort? Welcher Komfort? Der ohne Antriebseinflüsse leicht und belagssensibel einlenkende C63 liegt nicht auf der Straße, sein Fahrwerk ist die Straße. Die umschreibende Vokabel „Restkomfort“ und das „C“ (Komfortstellung des Adaptivfahrwerks) sind schlicht Schönrederei.
Die gleiche unerbittliche und Fahrsicherheit bedeutende Philosophie meißelt die Sportbremsanlage in den Belag. Vollbremsungen sind körperliche Anstrengung, Verzögerungsriesenräder unter den 19-Zoll-Felgen (innenbelüftete und gelochte Scheiben, rot lackierte Bremssättel), deren Quietschen eher ein Zeichen für Arbeitswille denn für Abnutzung ist, eine Wucht im Doppelsinn – optisch, von der brachialen Wirkung.
Das dritte Sportpedal ist nicht der Platzhalter für die Kupplung. Die überzeugende Siebengang-Automatik (mit Race-Start-Option) verwaltet auch im Trimm von Affalterbach (der Sitz von AMG) souverän, jedoch zackig-sportiver den Ganghaushalt. Am Gefühlsechtesten tackert sie die Urkräfte mit den Schaltwippen auf den hinteren Antriebsradsatz (255/35 R19; vorne: 235/35 R19).
Oder der 63-Pilot schaltet, die ganze Spanne U/min auspegelnd (sinnvoll: der AMG-Modus zeigt auch in „C“ den aktuellen Gang), aus vollem Lauf von „M3“ hinunter nach „M2“, was für Sekundenbruchteile donnerndes DTM-Feeling in den Innenraum zaubert.
Wie im BMW M3 (Fahrbericht BMW M3), aber akustisch noch krachlederner. Statisch erkennt man die Sportversion der Sportversion, das C63 Coupé mit AMG Performance Package, am Karbon der Außenspiegel und am Heckspoiler sowie dem Grillunterbau aus gleichem Material.
Drinnen gibt’s griffiges Alcantara in die Hand. Die Sportsitzeinteiler bieten satt Seitenhalt, ohne die kommode Aufpolsterung zu vergessen. Klassisches Schwarz dominiert. Nach uralter Daimler-Manier erfolgt Handbremsen und Zünden: Feststellbremse links unterhalb des Volants, kein Start-Stopp-Knopf.
Der Dachhimmel sitzt tiefer als in der Limousine, aber dank der hinten eingebuchteten Vordersitzschalen klappt´s auch im Fond mit den Knien und weiter hinten auch sehr gut mit den Koffern (Kofferraumvolumen 450 Liter).
Im Gegensatz zu rahmenlosen Coupés, den Helden des Schulterblicks, stellt sich die breite B-Säule in den Blick. Und an den flacheren A-Säulen bricht sich der Wind vernehmlicher als am Dachaufbau der Limousine.
Die Verkehrszeichenerkennung schafft – eine herstellerübergreifende Weiterentwicklungsaufgabe – keine hundertprozentige Trefferquote. Dem Spurhalteassistent gelingt seine Verbindlichkeit mit Lenkeingriffen dagegen perfekt. Das gilt auch fürs Klangbild des Soundsystems.
Einziges Problem: Einer macht noch besser Sound. Im Heck über den Basspfeifen und unterhalb des dreifinnigen Diffusors, der frei saugende, genauso pegel- wie trinkfeste V8.
Mit rationaler Begründung fährt den niemand. Sehr frühe Tankwarnungen, schon knapp unter 1/4 der Tankanzeige wundern nur C63-Erstsemester. Normalerweise hält der 66-Liter-Tank weniger als 400 Kilometer.
Im Test konsumiert das 6208-Kubik-Aggregat mit 16,0 l/100 km mehr als der ähnlich kraftstrotzende, aber moderne 5,5 Liter-Biturbo-V8 von Daimler (Minderverbrauch: rund drei Liter) und auch mehr als der feingliederiger gestrickte direkte Konkurrent BMW M3 (Testverbrauch: 14,1 Liter Super Plus).
Ist der M3 das Messer, so ist der C63 der Hammer. Der Suff hat gewaltig Charme. Der Umweg zum Brötchen holen dauerte übrigens 18 Kilometer. Zwei Brötchen in der Tüte, rund fünf Liter weniger im Tank. Testurteil: Jeder, wirklich jeder Umweg lohnt. (2012)
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