Autotest
Land Rover Discovery TDV6 Diesel Test
Er gehört zu den Giganten in seinem Revier. Überdimensionierte Maße, 2,5 Tonnen Übergewicht. Ein 190 PS starker 2,7 Liter-V6-Turbodiesel als Antrieb – genug, um mit dem Discovery neben und auf der Straße glücklich zu werden? Test: Land Rover Discovery TDV6.
Man ist sich einig an dieser gemeinsam und nebeneinander besuchten Ampel. Der nach oben gereckte Daumen des britischen Discovery-Piloten, in einem alten Modell langjähriger Kenner der Materie, sagt viel aus über den Auftritt des gewaltig gewachsenen neuen Land Rover Discovery.
Der Brite mit Schnauzbart sitzt da unten. Eigentlich sitzen alle da unten. Auch viel potentere Porsche Cayenne oder VW Touareg, die neben dem Discovery viel von Ihrem 4×4-Pathos einbüssen. Der Mensch, der den Land Rover erklimmt, fühlt sich zwangsläufig winzig. Beim Einstieg in den 1,91 Meter Landy.
Die schiere Größe verliert schnell an Schrecken. Im Innenraum erhebt der Discovery seinen Menschen wieder über die Maschine. Was nach Arbeit im Stadtverkehr und Schweißperlen vor engen Parklücken riecht, erweist sich mit großen Rückspiegeln, Einparkhilfe (350 € Aufpreis – gut angelegtes Geld) und grandioser Übersicht als das glatte Gegenteil.
Nicht nur die drei Sonnendächer (von denen sich nur das vordere öffnen lässt) oder die Sitzposition weit über dem Durchschnittsverkehr, sondern insbesondere die tief ansetzenden Seitenscheiben und das rechtseitig tiefer bauende Rückfenster (beim Vormodell saß es links), das an dieser Stelle von den grazilen Kopfstützen – klug gemacht – kaum verdeckt wird, steigern den Überblick ungemein.
Die maximal 3,3 Steuerraddrehungen der leicht von der Hand gehenden Servolenkung und der akzeptable Wendekreis von 11,45 Meter schmeicheln dem Fahrer, der kein Abenteuer darin sieht, sich schon ohne schweres Gelände in der groben Mechanik aufzureiben.
Eher stößt der Pilot an seine Grenzen, als dass sein Untersatz im schweren Gelände in Verlegenheit geraten könnte. Die Dynamik wie der Brite mit aktiviertem Untersetzungsgetriebe wie von der Tarantel gestochen auf losem Untergrund derbe Anstiege nimmt, und wie locker und sicher er mit der Hangabfahrhilfe HDC wieder hinab fährt, steht im krassen Gegensatz zu seiner Statur.
Dass er bei Bedarf vordere Überhangs- oder Seitenwinkel von 35 Grad, Rampenwinkel von 30 Grad und mit seiner auf Geländeniveau hinauf gepumpten Luftfederung auch Hindernisse von 28 Zentimeter Höhe oder Wassertiefen von 0,7 Meter meistert, sind Verlockungen, denen nachzugehen es wahrscheinlicher macht, mit einem beträchtlichen Bußgeld belegt zu werden, als etwa stecken zu bleiben.
Das Allradsystem ist Hightech. Wenn das Fahrzeug aufsetzt oder die Antischlupfregelung in Kraft tritt, erhöht das System automatisch den Druck in den Luftfedern.
Die Höhenverstellung auf Gelände- oder Zugangsniveau (+ 55 mm / – 55 mm) ist auch per Fernbedienung möglich, etwa beim Ankuppeln eines Anhängers (ungebremst bis 750 kg, mit Auflaufbremse bis 3,5 t) oder beim Be- oder Entladen.
Mit „Terrain Response“, fünf Geländeprogrammen, die als permanente Fahrzeugüberwachung aller Antriebs- und Aufhängungssysteme (Motor, Getriebe, Differential, DSC, Luftfederung) im Hintergrund agieren, lässt sich das Allradsystem mit Hilfe eines Drehschalters auf der Mittelkonsole, manuell oder in Automatikfunktion, an die aktuelle Bodenbeschaffenheit und den momentanen Grip anpassen – was sich etwa dann zeigt, wenn der Pedalweg auf feuchtem Gras plötzlich eigenartig lang wird, und der Motor die plötzliche Gasannahme annährend gänzlich verweigert: Sicherer, aber für ambitionierte Geländefahrer auch, weil sich das System nicht abschalten lässt, gewöhnungsbedürftiger als die visuell geglückte „4×4-Info“, die auf dem zentralen Monitor unter anderem Auskunft über Radstellung, die Untersetzung oder das angewählte „Terrain Response“-Programm gibt.
Der Sinn der martialischen Haltegriffe an den vorderen Kopfstützen und das Fahrzeugdach mit hünentauglicher Kopffreiheit erklärt sich in schwerem Gelände: Wo man nicht anstoßen kann, sitzt man auch bei unkontrollierten Bewegungen, die unstetiger Boden nun mal aufwirft, sicher.
Auf den sechsfach verstellbaren Sitzen mit höhenregulierbarer Armlehne und feststehender Kopfstütze (zu tief) gibt es auf langer Fahrt nur Gutes zu vermelden: Hohe und aufrechte Sitzposition, gesundes Sitzen. Weniger überzeugend: die Handgriffe der Tür mit fühlbarer Klebenaht.
Die vielen Schalter in der Mittelkonsole stellen das Erinnerungsvermögen auf eine harte Probe. Die Uhr (im Radio) sitzt zu tief, der Lichtschalter wird vom Multifunktionslenkrad (Radiosteuerung, Tempomat, Sprachnotizen) verdeckt.
Sehr positiv dagegen: das Warnhupen bei nicht korrekt geschlossener Tür und das „Kurvenlicht“ (aktiviert beim Blinkersetzen und durch Lenkeinschlag). Ebenso im Innenraum das gleich doppelte Handschuhfach, die zahlreichen Getränkehalter (Gesamtvolumen: 9 l) und die gut klingende Hifi-Anlage von Harman/Kardon.
Die Airbags reichen bis in die letzte der drei Sitzreihen. Die pfiffig im Fahrzeugboden eingelassene hinterste Bestuhlung ist mit wenigen Handgriffen aufgebaut – um den Kofferraum ist es damit allerdings geschehen. Allerdings verbucht der ansonsten mit bis zu 2500 Liter Volumen auf langer Reise alle Aktiva auf seiner Seite: Breit, hoch, tief, auf beiden Flanken Stauräume, doppelte Heckklappe für bequemes Bepacken und eine solide Gepäckraumabdeckung.
Der Discovery TDV6 transportiert bis zu sieben Personen, aber er transportiert vor allem eben auch sich selbst: minimal 2,5, maximal 3,2 Tonnen. Der Gegner der Masse ist der Antrieb. Das heißt: Hier wird trotz 190 PS, reichlich Hubraum und Turboanschub aufrecht gearbeitet.
Die Erziehung zur Seelenruhe ist hier schon Prinzip. Die Sechsgang-Automatik lässt die hohen Gänge schön los und damit niedrige Drehzahlen um die 1.500/min zu.
Die Reifen singen in Fahrt rasch und der hohe Aufbau fördert die Seitenneigung, trotzdem liegt der TDV6 mit dem rund 200 kg schweren Diesel über der Vorderachse gut und komfortabel – ein bequemer Reisewagen, kein Vergleich mit zünftigen 4×4 längst vergangener Epochen.
Der gelassene Antrieb macht gelassen, der Verbrauch (10,8 l) geht angesichts der zu bewegenden Masse und der grenzwertigen Stirnfläche in Ordnung. Und der ganze Gigantismus taugt darüber hinaus auch noch für den Hausgebrauch – kein kleines Glück, sondern ein großes: im doppelten Sinne des Wortes. (2005)
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